Im November 1938 lebte Paula Engelberg mit ihrem Mann Jakob in München. Hier wurden sie Zeugen, wie in der Nacht vom 9. zum 10. November jüdische Wohnhäuser, Geschäfte, Friedhöfe und Synagogen verwüstet wurden und zum Teil in Flammen aufgingen. Die Engelbergs waren ebenfalls jüdischer Herkunft und somit in ernsthafter Gefahr. Am darauffolgenden Tag geschah denn auch das Unfassbare: Die Gestapo nahm Jakob Engelberg in Gewahrsam und brachte ihn in das Konzentrationslager nach Dachau. Paula Engelberg blieb allein in der Wohnung zurück. Zwei Wochen lang wartete sie auf ihren Mann. Dann fasste sie einen Entschluss: Sie nahm das auf Leinwand gemalte Porträt einer Frau und verkaufte es. Noch am gleichen Tag konnte Paula von dem Geld für sich und ihre Kinder Visa für die Schweiz beschaffen. Und sie schaffte es, mit den Papieren ihren Mann freizubekommen. Die Familie verließ Deutschland, das Land, das eigentlich ihre Heimat war. Über die Schweiz gelangte sie in die USA, wo sie ein neues Zuhause fand.
Im US-Staat Oregon, genauer gesagt in Portland, hat der Sohn von Paula und Jakob Engelberg, Edward Engelberg, seinen Wohnsitz. An der Wand im Wohnzimmer hängt das Bild einer Frau, die ein Buch in der Hand hält. Doch es ist nicht irgendein Bild, es ist ein Zwillingsbild des Gemäldes, das vor inzwischen fast 80 Jahren von Paula Engelberg verkauft wurde, um die Familie vor dem sicheren Tod in Deutschland zu retten. Vier Generationen, bestehend aus über 30 Menschen, haben dem Original-Bild ihr Leben zu verdanken. Das aber ist bis zum heutigen Tag verschollen.
Edward Engelberg ist sich sicher, dass das Bild existieren muss. Nicht zuletzt die Aufzeichnungen seiner verstorbenen Schwester Melly lassen keinen Zweifel daran. Seit dem 21. Mai 2015 hilft das Rechercheteam „Follow the Money“ bei der Suche nach dem Werk. Diese findet öffentlich statt. Journalisten werden dafür an relevante Orte der Vergangenheit reisen, sie werden Archive nach Hinweisen durchstöbern und auch die sozialen Netzwerke werden eingebunden. Ein ganzes Land wird auf der Suche nach einem Bild sein, das einer Familie vor mehr als sieben Jahrzehnten das Leben rettete.
Medienpartner des Projekts sind die Süddeutsche Zeitung, Deutschlandradio Kultur sowie die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ORF, SRF und BR. Geplant ist, am 9. November 2015 eine Dokumentation über die Suche und deren Ergebnisse auszustrahlen. Produktionsfirma der Reportage „#kunstjagd“ ist die Gebrüder Beetz Filmproduktion. Wer nicht solange warten möchte, kann über Facebook, Twitter und Instagram rund um die Uhr die Recherchen mitverfolgen. Natürlich werden sich auch Tipps zum Verbleib des Bildes erhofft.
Bleibt nur die Frage, warum sich plötzlich ein Rechercheteam um ein Thema bemüht, das seit über 70 Jahren sozusagen tabu ist? Mit der öffentlichen Suche nach dem Bild will es aufmerksam machen auf das Schicksal von Millionen von Kunst- und Wertgegenständen, die einst von den Nazis geraubt oder unter Zwang den jüdischen Eigentümern regelrecht abgepresst wurden. Nur ein geringer Bruchteil von ihnen hat bisher den Weg zu den rechtmäßigen Besitzern zurückgefunden. Diesen geht es nicht um den finanziellen Wert der Gegenstände. Oftmals sind es letzte Erinnerungsstücke an einzelne Menschen oder gar ganze Familien, die unter Hitlers Herrschaft einfach ausgelöscht wurden.
Bildquelle: © Thorben Wengert / Pixelio.de