In der heutigen Zeit ist Nachbarschaftshilfe selten geworden, trotzdem gibt es sie noch. Anstelle an der Tür des Nebenmieters zu klingeln, geht man heute andere Wege und spricht nicht einen Menschen gezielt an, sondern gleich eine breite Masse. Vor allem in Großstädten, wo vielerorts Anonymität herrscht und man oftmals nicht mal seinen direkten Nachbarn kennt, ist die Idee einer Schweizer Projektgruppe ebenso simpel wie clever: Sie haben Sticker entworfen, mit denen einfach am Briefkasten oder einer anderen, gut sichtbaren Stelle um den gewünschten Gegenstand oder die benötigte Dienstleistung gebeten wird. Die Gedanken dahinter sind weitaus komplexer. Die Initiatoren des Projekts setzen sich für den bewussten Umgang mit Konsumgütern ein und wollen die Menschen vermehrt zu sozialer Interaktion anregen. Darüber hinaus möchte man das Leihen und Ausleihen von selten gebrauchten Dingen fördern, so ist es jedenfalls auf der Webpräsenz der Projektgruppe zu lesen.
In der Schweiz kommt das Konzept gut an. Hier sieht man schon des Öfteren die kleinen Aufkleber auf den Briefkästen prangen. Erklärt man sich zum Verleihen von Geräten an seine Nachbarn bereit, bekundet man dies durch den entsprechenden Sticker an seinem Briefkasten. Wer dagegen etwas benötigt, der sollte den Briefkästen in seiner Nachbarschaft erhöhte Aufmerksamkeit schenken. Die aktuelle Kollektion umfasst über 40 Motive. Auf den Stickern sind beispielsweise Fahrradpumpen und zahlreiche Küchen- beziehungsweise Haushaltsgeräte wie Mixer zu sehen. Aber auch nach einem W-LAN-Anschluss oder einer Discokugel kann man mit den Aufklebern fragen. Klassische Motive sind Racletteöfen und Fonduesets. Kein Wunder, stammen doch die drei Gründer des Projekts aus Bern.
Seit 2012 gibt es das Projekt. Mittlerweile ist es bis über die Landesgrenzen hinaus bekannt. An 10.000 Haushalte wurden Sticker verschickt. Ein Großteil von ihnen ging in die Schweiz, einige nach Deutschland. Besonders hierzulande stieß das Vorhaben auf Interesse. Inzwischen sind mehr Menschen aus Deutschland daran beteiligt als Schweizer. Nach Angaben der Initiatoren ist das Projekt nicht profitorientiert. Die Unterstützung durch zahlreiche Projektpartner macht dies möglich. In die Schweiz und nach Deutschland erfolgt die Lieferung der Sticker kostenlos. Der Versand in andere Länder schlägt mit vier Euro zu Buche.
Mit den Stickern wird ein Trend aufgegriffen, der ursprünglich aus dem Internet kommt. Teilen ist in diesem Medium ein sekündlich ablaufender Prozess. Warum also nicht das Teilen wieder in die reale Welt zurückholen? Aber es wird heutzutage auch in der Realität vieles geteilt. Menschen stellen anderen Menschen ihre Wohnung zur Verfügung, weil sie am Wochenende nicht da sind oder sie tauschen sie gar für einen bestimmten Zeitraum. Oder es werden Lebensmittel verschenkt und nicht weggeworfen, wie es sonst oft der Fall ist. Plattformen zum Tauschen und Teilen boomen. Da liegt es doch nahe, dass Tauschen und Teilen ebenfalls persönlich unter Nachbarn stattfinden kann.
Beim Kurznachrichtendienst Twitter sind die Kunden vom Teil-Projekt gleichfalls angetan. Dort wird die Idee von der neuartigen Nachbarschaftshilfe bereits fleißig weitergegeben. Das macht den Projektbeteiligten Hoffnung, dass ihre türkisfarbenen Sticker bald in jeder Stadt, in jeder Straße an jedem Briefkasten kleben. Das könnte aber dann doch ein Wunschtraum bleiben, denn nicht jeder ist zum Teilen und Weitergeben bereit. Außerdem bleibt die von einigen hochgeschätzte Anonymität des Internets bei dem Projekt außen vor.
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